Weihnachten im Land am Meer

Über alte Bräuche und Traditionen rund um das am tiefsten in den Herzen der Menschen verankerte Fest des Jahres

Veröffentlichung: POMMERN – ZEITSCHRIFT FÜR KULTUR UND GESCHICHTE, Heft 3 / 2018

Abb. 1 Wald bei Schneefall. Fotografie: Ines Kakoschke.

„Min Land slöppt still in Snee un Is, De Arbeit ruht, un sacht un lies Kümm’t düster öwer’n Hewen wiet. Un nie in’t ganz lange Johr
Sühst du de Stiern so hell un klor, As in de lewe Wiehnachtstied.“

Mit diesen stimmungsvollen Versen beginnt der Dichter Ludwig Hamann (geb. 1867 in Schwerin, gest. 1929 in Berlin) sein Gedicht „Wiehnachtstied in Pommern“. Über den schnellen Wechsel vom Tag zur Nacht denkt er darin nach, über
„Hus un Fru un Kind, / un wat man de bescheren künnt./…“

„De Welt lat gahn mit ehr Gebrus,
Dat is de Tied för Hierd un Hus.

Un jeder steckt sik wat bi Sied,

Gehem deht ok de lüttste Kröt.
Na Koken rückt un Päpernöt
Dat ganz Hus to Wihnachtstied.“

Und es ist eine besondere Zeit, die wunderbarste Zeit des Jahres, die mit dem ersten Adventssonntag beginnt, wenn in vielen Familien beim gemeinsamen Nachmittagskaffee die erste von vier Kerzen am Adventskranz angezündet wird. Eine Weile darf sie brennen, nicht zu lange, denn es wird auch in diesem Jahr vier Adventssonntage geben, und auch am letzten dieser vier Sonntage soll neben der zweiten, dritten und vierten auch die erste Kerze noch leuchten und uns auf das nun sehr nahe Fest einstimmen. Der Hamburger Theologe Johann Hinrich Wichern hat den Kranz erfunden. Um den in seinem 1833 gegründeten „Rauhe(n) Haus“ lebenden Waisenkindern die lange Wartezeit auf das Weihnachtsfest zu verkürzen, bestückte er 1839 ein Wagenrad mit vier weißen Kerzen für die Sonntage und je einer kleineren roten Kerze für jeden Wochentag. Erst 1851 wurde das Rad mit Tannenzweigen geschmückt. Kirchliche Gemeindehäuser, Kinderheime und Schulen in Norddeutschland griffen die Idee des Lichterkranzes auf und bezogen ihn in die Gestaltung der Adventszeit ein. Die bereits genannte kleinere Variante mit je einer Kerze für die vier Adventssonntage war um 1900 auch in evangelischen Haushalten der Region zu finden. Seinen überregionalen Durchbruch erlebte der Adventskranz um 1920. In einem Aufsatz über „Die Weihnachtszeit in der heimatlichen Volkskunde“ beschreibt der Barther Lokalhistoriker Erich Gülzow 1952 auch ein „Adventsbäumchen“, für dessen Herrichtung eine kleine Fichte oder Tanne in einen Blumentopf gepflanzt und an jedem Adventssonntag mit einem Licht geschmückt wurde. Beim abendlichen Gesang von Advents- und Weihnachtsliedern wurden die Kerzen eine Zeit lang angezündet. Gelegentlich befestigte man zusätzlich Kärtchen mit Verheißungen aus dem Alten Testament am Bäumchen. Alternativ dazu wurden Tannenzweige in eine Vase gestellt, mit Papierblumen geschmückt und ebenfalls mit Kerzen besteckt. (Abb. 2)

Abb. 2 Eine moderne Variante des Adventskranzes ist dieses exklusive Modell eines „Adventskranzkalenders“, den der Greifswalder Bootsbauer Robert Schneider in Anlehnung an den ursprünglichen „Wichernkranz“ gebaut hat. Entsprechend der Anzahl der jeweiligen Adventstage vom ersten Adventssonntag bis zum 24. Dezember können einzelne Kerzenhalter entfernt werden. Fotografie: Ines Kakoschke.

Einen besonderen Stellenwert nahm im ländlich geprägten Jahreslauf der Pommern die vorweihnachtliche Schlacht- und Backzeit ein. Sie folgte festen Ritualen und ist bis heute Teil vieler Kindheitserinnerungen. Hering, Gans, Schwein und Kartoffel – in dieser Reihenfolge nennt der Schriftsteller Hans-Werner Richter (geb. 1908 in Neu Sallenthin/Usedom, gest. 1993 in München) in seiner Erinnerung „Dat is kein Schwin, dat is jo ein Giraff. Pommersche Gastronomie“ die vier „Grundnahrungsmittel“ der Pommern, wobei sich der Rang des Herings innerhalb dieser Reihung in der Weihnachtszeit eindeutig zugunsten der bis dahin friedlich schnatternden und grunzenden Stallgenossen auf den vor-, wenn nicht gar letzten Platz verschob. Selbstredend gab es ihn. Zu Weihnachten aber gehörte ein tüchtiger Braten von Gans oder Schwein auf den Tisch. Knusprig, saftig und fett musste er sein. Dazu gab es Salzkartoffeln, Rotkohl und als Nachtisch einen feinen Grießpudding. (Abb. 3 und 4) Der Brauch, schon am 11. November eine Gans zu braten, geht auf die Legende um den Heiligen Martin von Tours zurück, der hauptsächlich dafür bekannt ist, dass er seinen Mantel mit dem Schwert teilte, um mit einem der beiden Teile einen friedenden Bettler zu wärmen. Die Legende erzählt aber auch, dass der vom Volk von Tours sehr verehrte Martin lieber sein bescheidenes Leben fortsetzen und der geplanten Weihe zum Bischoff entgehen wollte, indem er sich im Stall versteckte. Das Geschnatter der Gänse aber verriet ihn, weshalb er sie anschließend braten ließ. Bezüglich der sprichwörtlichen Berühmtheit der pommerschen Gänse weist die Historie auf Herzog Bogislaw XIV. zurück, der im Jahre 1610 seinen Amtsbruder Herzog Franz von Alten-Stettin zum Martini-Abend nach Rügenwalde zur „Martinsgans“ geladen haben soll. Seither halten sich Berichte und Überlieferungen um die Beliebtheit der pommerschen Gänse ebenso hartnäckig wie solche, die die Rettung des speziellen Weihnachtsbratens beinhalten.

Abb. 3 Den lieben langen Sommer über waren die Gänse gehütet worden, so wie das um 1900 in Stettin aufgenommene Foto zeigt. Archiv Ines Kakoschke

Auch in dem nachfolgenden Brief, den Caspar David Friedrich am 10. Dezember 1822 aus Dresden an seinen Bruder Adolf Friedrich in Greifswald sandte, geht es um einen solchen „pommerschen Leckerbissen“.
„Lieber Bruder Adolf!
(…) Du hast uns wiederum eine Freude machen wollen und auch gemacht, und ich wie meine Lina wissen Dir vielen Dank. Ich aber gestehe es Dir frei und darf es ja wohl meinem Bruder gestehen, daß es für mich immer etwas Drückendes hat, wenn ich bedenke, was es Dich jedesmal gekostet hat. Mir, der ich immer den bei weitem geringeren Teil der Kosten trage, kommt es schon hoch zu stehen, so daß ich vielleicht für dasselbe Geld mir denselben Bissen hier zubereiten kann. Sei so gut und schreib uns genau und umständlich die Zubereitung des Fleisches, es müßte wohl mit dem Teufel zugehen, wenn sächsische Gänse nicht auch einigermaßen gut schmecken sollten (…). Eben, als ich vom Tische aufgestanden, schrieb ich diese Zeilen, den Wohlgeschmack des pommerschen Leckerbissens noch im Munde; dies mag wohl die Ursache sein, warum in meinem Briefe des lieben Viehes eher gedacht worden als der Menschen.“

Gänsebraten
Ein Rezept nach altem pommerschen Brauch des 19. Jahrhunderts
Nachdem die Gans gestochen und das Blut aufgefangen wurde, wird sie gerupft, gesengt und gewaschen. Man hängt sie drei bis fünf Tage, im Winter auch länger, an einen luftig kühlen Ort.
Zum Braten wird die Gans ausgenommen und eine halbe Stunde gewässert. Danach wird sie mit ungeschälten Äpfeln, einer Zwiebel und ein wenig Thymian gefüllt und zugespießt oder zugenäht.
Man gießt zwei Liter Wasser in die Bratpfanne und legt die Gans auf die Brustseite hinein, bestreut sie mit Salz und schiebt sie in den heißen Bratofen. Nun muss sie zweieinhalb Stunden braten und fleißig begossen werden. Eine Stunde bleibt sie auf der Brustseite liegen, dann wendet man sie um. Sollte das Wasser verbraten, gibt man wieder – aber nur löffelweise – warmes Wasser dazu. Die Sauce muss nicht zu fett angerichtet werden, es muss braunes Jus darunter sein.

Bis jedoch am Weihnachtsfeiertag die gebratene Gans und die als besondere Delikatesse bekannte geräucherte Spickbrust auf den Tisch kamen, standen mehr oder weniger geliebte Gerichte vom „Gänseklein“ auf dem vorweihnachtlichen Speiseplan. Zubereitet wurden sie aus dem Kopf der Gans, dem Hals, den oberen Flügelspitzen, dem Blut und den Innereien Magen, Herz und Leber. Das süß-sauer angerichtete „Schwarzsauer“ wurde mit eingeweichtem Backobst serviert. Alles zusammen wurde mit vielen Gewürzen gekocht und gern mit Bratkartoffeln gegessen. Selbst Pfoten und Därme wurden verwendet und zu „Wickelpoten“ verarbeitet.
Dem Gang der Gänse folgten im Dezember die bis zu drei Zentner schweren Hausschweine. In der Hauptsache lieferten sie den nötigen Wintervorrat an Fleisch und Wurst, waren ebenso aber auch Teil des Weihnachtsessens.
Autoren, wie der Usedomer Hans Werner Richter oder die von der Insel Rügen stammende Ina Rex (Pseudonym für Alwine Amalie Hinrichsen, geb. 1848 in Klein Zicker, gest. 1910 in Rostock), schildern in ihren literarischen Werken Situationen des Schlachtens und des Umgangs der Menschen mit dem Vieh als Lebensgrundlage. So schreibt etwa Ina Rex in ihrem 1910 veröffentlichten Heimatroman „Nivellierarbeit der Zeit“

Abb. 4 Im Rahmen eines Fotowettbewerbs gehörte diese wunderbare Aufnahme einer Schar munterer Gänse mitten auf der Langen Straße in Greifswald zu den besonders prämierten Bildern, die im Dezember 1911 auf der Kunstausstellung des Greifswalder Kunstvereins gezeigt wurden und 1912/13 Eingang in ein Album mit dem Titel „GREIFSWALD UND SEINE UMGEBUNG. 101 AMATEURPHOTOGRAPHIEN“ fanden. Fotograf des Bildes war der damalige Medizinstudent Oswald Schlegel.
Abb. 5 Dieser Blick in die historische Backstube der Greifswalder Traditionsbäckerei Käßler entstand um 1935 und zeigt eine typische Arbeitssituation in der Vorweihnachtszeit. Im Anschlagkessel wird die Gebäckmasse aufgeschlagen, im Ofen wartet ein Blech mit Keksen darauf, gebacken zu werden und links im Bild steht der Gründer der Bäckerei selbst am Arbeitstisch. Fotografie aus: Kakoschke 2012.

Folgendes: „Überflüssiges sprach er (Vadder Brandt aus Tessow) nie. Betrat er den Hof, schritt er gleich zur Tat. Den Koben geöffnet, das Tier herausgezogen (…) und mit einem sicheren Schnitt vom Leben zum Tode gebracht. Nicht etwa für Geld (…) Einen Schluck Branntwein und einen Händedruck nahm er mit auf den Weg und sagte für beides sein treuherziges Schöndank.“
Auch die Verarbeitung des Fleisches schildert Ina Rex: „Auf jeder Dähl hing dann hoch von einer Leiter herunter das aufgebrochene Schwein zum Auskühlen. Das Flohmenstück schön breit herausgekehrt, je mehr davon, je stolzer der Besitzer. In jeder Küche brodelte bald der Wurstkessel. Die Hausfrau schimpfte, die Dirnen ließen die Röcke fliegen, die Knechte trabten. Vadder so und so wartete aber am liebsten auf der Ofenbank, bis der fettige Dampf aus der hochgefüllten Schüssel ihm direkt in die stumpfe Nase zog. Dann (…) langte er gemächlich in die Westentasche und lockerte das Klappmetz in der Scheide.“ Weniger Aufregung, aber einen wundervollen Vorgeschmack auf die süßen Verlockungen des Festes hielt die Weihnachtsbäckerei für große wie kleine Naschkatzen bereit: Wenn de Näbelmaand vörbi wier, dann wür‘ de hölten Moll von’n Boen haalt. Nu wurd‘ höchst Tiet fört Päpernötbacken!
Und schon kamen sie alle zusammen – Großmütter und Mütter, Tanten und oft sogar die ganze Nachbarschaft, um gemeinsam Pfeffernüsse, Lebkuchen, Honigküchlein, Butterkringel und all die feinen kleinen Weihnachtsplätzchen zum Backen vorzubereiten. Mindestens zwei Tage waren dazu nötig, wobei allein der Ablauf der Teigzubereitung einer geradezu heiligen Handlung glich.
Zuerst mussten alle Zutaten warm gestellt werden. Im zweiten Arbeitsschritt wurde alles gut miteinander vermengt, wozu mehrere Frauen den Teig mit einem großen Holzkeil hin und her bewegten, um am Ende mit den Händen drei Kreuze hineinzudrücken. Anschließend wurde der fertige Teig mit einem Leinentuch abgedeckt und musste über Nacht ruhen. Am anderen Morgen banden die Frauen ihre weißen Schürzen um, stellten verwundert fest, dass wie in jedem Jahr wieder einige „tweibeinig‘ Müüs“ am Werke waren und kneteten den zur Genüge übrig gebliebenen „Rest“ gründlich durch. Eine Teigportion nach der anderen wurde nun ausgerollt und zu Herzen, Mond und Sternen ausgestochen auf die großen Backbleche verteilt. Der Gutsherr hatte einen Backofen, dort kamen all die Köstlichkeiten schließlich hinein und goldgelb gebacken wieder heraus. In den Städten übernahmen die Bäcker diesen letzten Arbeitsschritt. Bis in die 1960er Jahre hinein haben sie Weihnachtsgebäck und Kuchen für die Kunden „abgebacken“ und natürlich auch selbst Weihnachtsgebäck hergestellt. Neben Äpfeln, Nüssen und Backobst gehörten „Zuckerwerk“ und kleines Gebäck lange Zeit auch als Schmuck an den hierzulande erst im späten 18. Jahrhundert nach und nach Einzug haltenden Weihnachtsbaum. Hinzu kamen Wachsstock- und Tannenbaumlichte in verschiedenen Farben sowie selbst gebastelte Papiergirlanden, Spruchbänder, Blumen und Sterne.

Abb. 6 Weihnachtsabend 1948 in Ueckermünde. Die Brüder Uwe, Peter und Klaus Seng haben die ganz typischen alters- und zeitgerechten Geschenke erhalten. Im Hintergrund der mit Kerzen, Glaskugeln und Lametta geschmückte Tannenbaum. Fotografie aus: Kakoschke 2012.

Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts folgten Glaskugeln, Lametta und Engelshaar. „Mählpöppings un Päpernöt“ brachte Bäcker Rohde mit seinem Hundegespann von Schaprode über‘s Eis auf die Insel Hiddensee. Erstere waren ein Gebäck aus Mehl und Wasser, bunt bemalt und der Farbe wegen „miehrstens ok ein bäting bitter“, wie in den von Reante Seydel herausgegebenen Hiddenseer Geschichten nachzulesen ist. Als „wohlschmeckend“ hingegen preist Bäckermeister Rohrberg in einem Inserat im Wolgaster Anzeiger des Jahres 1859 seine braunen und weißen Pfeffernüsse an. Und wenn wir heute in einer der wenigen noch erhaltenen Traditionsbäckereien einen leckeren Butter- oder Marzipanstollen kaufen, dann kann es sein, dass der Großvater des heutigen Bäckereiinhabers das Rezept oder die Rezepte dazu von der Wanderschaft, zum Beispiel aus Dresden, in die pommersche Heimat mitgebracht hat. Einen typisch pommerschen Stollen gibt es nicht. Erst zur Mitte des 20. Jahrhunderts hat sich auch in unserer Region die Tradition des Stollenbackens mehr und mehr etabliert und den bis dahin besonders beliebten weihnachtlichen Zuckerkuchen und die in Form einer großen Brezel auf dem Blech gebackenen Kringel verdrängt. (Abb. 5)
Zum Ende dieses kleinen, um viele Facetten erweiterbaren Rückblicks auf alte Bräuche zur Weihnachtszeit im Land am Meer möchte ich noch einmal zu dem eingangs angeführten Gedicht „Wiehnachten in Pommern“ zurückkehren.

„De Kinner denken wie in’n Drom,
Man blot noch an den Dannenboom,
Un wat ik in de Julklapp smiet.
Wi Ollen, in Erinnerung,
Wi fäulen uns noch enmal jung.
Dat is de lewe Wiehnachtstied!“

, schreibt Ludwig Hamann in der letzten Strophe und zeichnet damit mehr als ein anrührendes Bild der kindlichen Erwartung. Vorfreude und Ungeduld stehen im Raum. Das nur noch selten gebrauchte Wort „Heimlichkeit“ schwingt mit, wenn der Dichter von „Julklapp“ spricht und damit den bis in die 1940er Jahre in ganz Pommern verbreiteten Brauch, Geschenke als „Julklapp“ mit viel Gepolter ins Weihnachtszimmer oder in den Hauseingang zu werfen, in den Blick rückt. Zahlreiche Autoren haben diesen Brauch beschrieben, so etwa Fritz Reuter, Ernst Moritz Arndt, Theodor Fontane oder der kaum mehr bekannte, 1819 in Greifswald geborene Edmund Hoefer (gest. 1882 in Kannstadt). Während Ernst Moritz Arndt von „Julabendsitzungen spricht, die am Heiligabend stattfanden und häufig von acht Uhr abends bis drei oder vier Uhr in der Frühe dauerten, berichtet Edmund Hoefer, dass das Einwerfen und Julklapprufen schon acht Tage vor Weihnachten begann und erst am Silvesterabend endete. Holger Becker (geb. 1955, Ortschronist und Autor in Born/Darß) spricht vom „Julklapp-Fest“, das nach der eigentlichen Bescherung und dem Abendessen begann und sich über mehrere Stunden hinzog. Er selbst hat diesen Brauch in der Familie bis in die 1980er Jahre hinein miterlebt und mit seinem im Dezember 1978 ursprünglich für den Hausgebrauch geschriebenen Gedicht „Wiehnachten in Born“ ein interessantes Zeugnis gelebter Geschichte geschaffen. Auf dem Wolgaster Schlossplatz überraschten sich in den 1940er Jahren die dort wohnenden Freundinnen um Cäcilie Willkomm mit Julklapp-Geschenken, die sich die Mädchen gegenseitig zwischen 18 und 19 Uhr vor der Bescherung in der Familie mit großer Heimlichkeit zukommen ließen. Die Überraschung ist der eigentliche Inhalt dieses Brauches. Hinzu kommt, dass Sender und Überbringer unerkannt bleiben mussten. Das Geschenk selbst ging zumeist durch mehrere Hände, ehe es diejenige Person erhielt, der es letztlich zugedacht war. Das Wort Julklapp geht auf das laute Klopfen und Klappen der Tür zurück. (Abb. 6)

Abb. 7 Möwen gehören das ganze Jahr über zum gewohnten Bild an unseren Küsten. Allerdings sind sie selten ganz aus Gold, sondern glänzen mit weiß-grauem Gefieder wunderbar silbern im Sonnenlicht, so wie hier auf dem vereisten Brückengeländer am Hafen in Greifswald-Wieck. Fotografie: Ines Kakoschke.

Ob es das hier abgebildete Puppentheater, der Kaufmannsladen oder das alte Schaukelpferd ist, das Rudolf Tarnow in seinem Gedicht „Dat olle Spältüg“ so lebendig werden lässt, ein Buch, eine nach langer Zeit zum Vorschein gekommene Fotografie oder vielleicht „nur“ ein Traum – Erinnerungen an Weihnachten sind immer auch Erinnerungen an nahe Angehörige, die Teil unseres Lebens sind oder waren. Weihnachten ist so viel mehr als ein beschreibbarer zeitlicher Ablauf von mehr oder weniger traditionellen Handlungen. Weihnachten hat mit Liebe zu tun, Vertrauen und Hoffnung gehören dazu. Weihnachten gibt Zuversicht und Halt. Weihnachten lässt uns innehalten. In diesem Sinne – freuen wir uns auf eine wunderbare Advents- und Weihnachtszeit und auf ein glückliches und vor allem friedliches neues Jahr.

Die goldene Möwe

Eine pommersche Christnachtssage

Bewegt ein großer Wunsch dein Herz,
dann fahre in das Pommernland
und gehe in der Weihnachtsnacht
ganz stumm und heimlich an den Strand.

Dein Wunsch geht in Erfüllung bald,
wenn sich ein Licht im Osten zeigt
und eine Möwe ganz aus Gold
hinauf zum Sternenhimmel steigt.

Und leuchtet sie auch noch so hell –
halt haus, mach‘ nicht die Augen zu:
Sonst geht es dir mit deinem Wunsch
wie einst dem Fischer syner Fru.

Verwendete Literatur (Auswahl)

  • Caspar David Friedrich in Briefen und Bekenntnissen, Berlin 1968
  • Dr. E. Gülzow, Die Weihnachtszeit in der heimatlichen Volkskunde, Barth 1953
  • H. Geibler (Hrsg.), Pommersches Kochbuch, Kolberg i. P. 1925
  • Max Guhlke, Pommersche Lyrik, Stargard (Pomm.) 1913
  • Ines Kakoschke, Pommerngans und Lichterglanz. Weihnachten im Land am Meer, Erfurt 2012 (Kakoschke 2012)
  • Nivelierarbeit der Zeit von Ina Rex, Roman über das Leben auf Mönchgut (Rügen) im 19. Jahrhundert, Rügen 1999
  • Renate Seydel (Hrsg.), Hiddensee. Geschichten von Land und Leuten, Berlin 2005